Szenario 2: Into the Blues
Unter einem neuen Bundeskanzler formieren sich im Jahre 2021 Parteien mit verschiedenen Ausrichtungen auf die Wirtschaft, auf konservatives Denken oder auf Umweltthemen zu einer Koalition. Die Zeit ist geprägt von Digitalisierung, Bemühungen um Klimaschutz und der Bekämpfung der Folgen einer Pandemie. Die allgemeine wirtschaftliche Lage ist durch einen Höchststand an Inflation seit Beginn des neuen Jahrtausends geprägt, so dass eine renommierte Zeitung die Inflation als den sozialen Brennstoff für die nächsten Jahre zu bezeichnet. Durch die Pandemie ist die Digitalisierung ein zentrales Thema geworden, weswegen der Breitband-Ausbau intensiv vorangetrieben wird. Dadurch wird der verstärkte Einsatz von KI möglich, der in den folgenden Jahren immer mehr Fahrt aufnimmt. In der Folge werden Aufgaben des mittleren Managements von KI übernommen werden und Leitungspositionen in der mittleren Managementebene somit überflüssig.
Ab 2025 werden erste digitale Gesundheitsanwendungen in die Regelversorgung überführt und flächendeckend eingesetzt, woraufhin sich auch die Leistungskataloge von gesetzlicher Pflege und Krankenversicherung anpassen. Die von der Wirtschaftspartei vorangetriebene Privatisierung des Pflegemarktes sieht in der Generalisierung der Pflegeberufe einen Hemmnis für die Entwicklung von Pflege. Das von dieser geführte Gesundheitsministerium beendet die Generalisierung der Pflegeberufe nach nur vier Jahren Regierungszugehörigkeit und führt das dreigliedrige Pflegeberufesystem wieder ein. Der Pflegenotstand verschärft sich vor allem, weil immer weniger Angehörige die häusliche Pflege übernehmen können oder wollen. Die Beiträge zur Pflegeversicherung schießen aus zwei Gründen ungebremst in die Höhe: Zum einen aufgrund der knappen humanen Pflegeressourcen und zum anderen dadurch, dass Produktion, Anschaffung und der Betrieb von digitalen Gesundheitsanwendungen in der Pflege noch sehr kostspielig sind. Das Verständnis für eine Akademisierung der Pflege schwindet und akademische Studiengänge werden abgeschafft. In dieser Zeit einer wirtschaftlich und pflegerisch prekären Versorgungslage profiliert sich eine Partei vom rechten Rand immer mehr gegenüber der Regierungspolitik und gewinnt vermehrt an Zustimmung aus der Bevölkerung. Bei den Bundestagswahlen 2041 präsentiert diese Partei einen radikalen Gegenentwurf zur Politik der bisherigen Koalition und holt knapp hinter den Konservativen die zweitmeisten Stimmen. Angesichts der breiten Zustimmung für die Rechten kann können sich die Konservativen erstmalig einer Koalition mit dieser nicht entziehen. Fortan stellen die Rechten den Gesundheitsminister, welcher zur schnellen Verbesserung der Pflegesituation die Verkürzung der Pflegeausbildung auf zwei Jahre vorschlägt. Ebenso werden die Zugangsvoraussetzungen zur Pflegeausbildung gesenkt. Die Arbeitslosigkeit im mittleren Management nimmt weiter zu, vor allem auch aufgrund von KI. Gleichzeitig werden alltägliche digitale Anwendungen komplexer. Erste Pflegekräfte aus Fernost werden angeworben, um dem Pflegenotstand entgegenzuwirken. Dabei wird auf eine geringe Qualifikation geachtet. Bei der Bundestagswahl 2045 gewinnen die Rechten und koalieren mit der Mitte als Juniorpartner. Die Pflegeversicherung wird vollständig privatisiert und die Verantwortlichkeit im politischen Rahmen zurück an die Bürger gegeben. Aufgrund der Kostenexplosion sind kaum stationäre Pflegeeinrichtungen vorhanden und institutionalisierte Pflege ist aufgrund der Privatisierung der vorhandenen Einrichtungen kaum bezahlbar. In den Folgejahren werden Pflegeeinrichtungen in Wohnraum umgewandelt.
2049 gewinnen wieder die Rechten die Wahl und bilden eine Regierung mit den Konservativen und der Wirtschaftspartei. Das Green-Card-Kontingent für Pflegekräfte aus Fernost wird weiter aufgestockt. Laut einer Forza-Umfrage wird das soziale Klima kälter. Das Jahr 2050 ist geprägt von nationalem Denken. Die Arbeitssituation ist durch den Verlust von Arbeitsplätzen im mittlerem Management gekennzeichnet. Die häusliche Pflege ist der Regelfall bei der Versorgung von Pflegebedürftigen geworden. Um möglichst viele IT-Manager aus der Arbeitslosigkeit heraus zu führen, erweitert das rechts-geführte Gesundheitsministerium den Pflegebegriff um den Aspekt der Digitalkompetenz von Pflegebedürftigen. Damit einher geht eine neue Qualifizierungsmaßnahme zur Steuerung der häuslichen Pflege, nämlich der Home-Care-Manager. Home-Care-Management bedeutet die Versorgung von zehn häuslich gepflegten Menschen gleichzeitig mithilfe digitaler Überwachungs- und Steuerungssysteme. Die grundpflegerischen Tätigkeiten werden von Pflegekräften aus Fernost übernommen, die als Pflegerinnen zweiter Klasse fungieren, während die Home-Care-Manager vor allem koordinative Aufgaben übernehmen. Die Pflege ist nach einem Baukastenprinzip gestaltet, in dem bestimmte Dinge einfach übernommen werden über das pflegerische hinaus auch Haushaltsführung und dergleichen.
Szenario 1:
Die Geschichte von der Sichtbar- und Spürbar-
werdung der Pflege
Im Jahr 2021 gibt es verschiedene Modellprojekte zu sorgenden Gemeinschaften, gleichzeitig führen Technikprojekte in der Pflege zu Bedenken seitens der Pflegenden und zu Pflegenden. Erkenntnisse aus Studien u. a. zu bürokratischen Hürden des Technikeinsatzes in der Pflege bestätigten dies. In den darauffolgenden Jahren wächst der Erkenntnisstand zu Technik, Pflege- und Sorgegemeinschaften. Nach einer KI-Welle in der Gesellschaft bleibt die Frage danach, wer sich um Pflegebedürftige kümmert und wo ungeklärt. Die Frage nach dem „wie“ wird durch den Technikeinsatz in der Pflege beantwortet, der stetig zunimmt. Ein schon länger laufendes Bundesprojekt wird deutschlandweit publik und mehrmals verlängert. Als Konsequenz aus dieser Forschung wird 2030 ein bundesweites Case-Management eingeführt, von dem viele profitieren. Dadurch rückt die Pflege weiter in den Fokus der Bürger/innen. Das Bewusstsein, dass die Generation der Babyboomer älter und pflegebedürftig wird, wächst. Ab 2035 ist das der Fall und schnelle Hilfe wird benötigt. Parallel dazu findet eine Bundestagswahl statt, in der nach den Themen Klima und soziale Gerechtigkeit, die nicht mehr brennen, die Pflegepolitik an erster Stelle steht. Das bedingt die Finanzierung neuer Förderlinien der Regierung zu Sorgegemeinschaften, die nicht der Prämisse Digitalisierung und Technologie folgen, sondern die Frage nach dem „Wer pflegt und wo“ in den Mittelpunkt stellt. Eine Pflegereform mit unklarer Ausrichtung kündigt sich schon vor der Wahl an. Auch 2021 war nicht klar, wann Deutschland klimaneutral werden würde, aber irgendwann hat es geklappt. Ähnlich verhält es sich mit dem Thema Pflege 2035: Die Zukunft ist unklar, aber Veränderungen sind in vollem Gang. Auf einem nationalen Pflegekongress werden weitere Ergebnisse aus geförderten Forschungsvorhaben vorgestellt. Die meisten Bundesländer haben gut funktionierende Sorgegemeinschaften. Das Vertrauen in die Techniknutzung bei den Bürger/innen wächst, da sie besser gelingt. Interessenverbände aus der Pflege fordern eine europäische Pflegerichtlinie und haben Erfolg. So findet 2045 der Auftakt zu einer Richtlinienerstellung zur guten Pflege statt. Gleichzeitig wird in einer Pflegereform der Begriff der Pflegebedürftigkeit abgeschafft und ein Pflegebudget für alle Menschen ab 70 Jahren in einer monatlichen Höhe von 1000 Euro eingeführt. Davon profitieren die über 70-jährigen, da sie das Geld eigenverantwortlich für Pflegeleistungen, Gesunderhaltung und Gesundheitsförderung nutzen können.
Bundeseinheitliche Konzepte für kommunale Pflege liegen vor. Das Thema Pflege ist allgegenwärtig, man kann sich kaum entziehen. Die Technikakzeptanz wächst stetig und die Ausstattung der Kommunen ist gesichert. Man geht weg vom alleinigen Case-Management in den Kommunen, was 2050 zu einer wachsenden Skepsis gegenüber der Pflegereform führt, die das Pflegebudget eingeführt hat. Das Problem besteht darin, dass das Pflegebudget zwar für Haushaltsroboter o. ä. ausreicht, aber innovative neuere Technologien lassen sich damit nicht finanzieren. Eine Studie aus dem Jahr 2050 bestätigt, dass sich nur Spitzenverdiener/innen einen wirklich innovativen Technikeinsatz mit besonderen Technologien leisten können. Trotzdem leben die Menschen durch die technischen Möglichkeiten primär eigenverantwortlich zuhause. Mit ihrem Pflegebudget wählen sie, ob sie von Pflegenden mit oder ohne Technikeinsatz versorgt werden. Die Versorgung findet in regionalen Sorgestrukturen statt.
Szenario 3:
Im Strudel der guten Absichten
Im Jahr 2020 nimmt die Gesundheitsministerin den Pflegestand ernst und priorisiert ihn. Strategien, um dem Pflegenotstand entgegenzuwirken sind die Harmonisierung der Pflegeausbildung und Qualifikation im Rahmen der EU, stärkere Investitionen in Technologien und Digitalisierung im Kontext der Pflege, sowie die quantitative Pflegeforschung. Parallel dazu schließen sich Versorgungseinrichtungen erst betriebswirtschaftlich und in der weiteren Entwicklung auch örtlich zu Zentren zusammen. Gesellschaftlich setzt sich in der Trend zu Urbanisierung und zu kleineren Familien fort. Die genannten Strategien und Investitionen in Forschung führen zu immer mehr Impulsen in der Digitalisierung, weil quantitative Pflegeforschung und die Zusammenlegung von Einrichtungen den Blick auf quantitative und prozessuale Größen schärfen. Die vermehrte quantitative Forschung bedingt mehr prozessuales Denken und durch formalisiertes Wissen entstehen bessere Möglichkeiten für Digitalisierung und Ökonomisierung. In diesem Strudel beschleunigen sich die Aspekte gegenseitig. Die einstmals „guten“ Absichten, führen zu mehr Automatisierung und einer intensiven Standardisierung sowie zu immer mehr Expertentum. Passend dazu wird parallel die Pflege akademisiert. Ausgebildete Expert/innen arbeiten mit neuen Technologien und Datenflüssen. Auf institutioneller Ebene herrschen standardisierte, prozessuale Prozesse vor, weswegen sich Leistungen und Institutionen konzentrieren. Weg von regionalen Zerstreuungen hin zu zentralen Versorgungseinheiten. In der Gesellschaft wird immer mehr Prozessualisiert und das große Vertrauen in das Expertentum erzeugt das Gefühl, Pflegebedürftige seinen hinreichend versorgt. Die Pflegebranche formiert sich in festen Strukturen. Das gute Ansehen des Berufs, sowie eine bessere Vergütung sorgen dafür, dass mehr Menschen in der Pflege arbeiten - dieser Teil der Strategie geht auf. Durch Quantifizierung und Ökonomisierung der Branche werden Entscheidungen immer mehr über Kennzahlen getroffen. Abläufe, die über Prozesse und Kennzahlen gesteuert werden, lassen sich gut digitalisieren.
2040 strömen Super-Nurses auf den Markt, die akademisiert sind, einen Masterabschluss haben und promoviert sind. Demgegenüber stehen die Hand-on-Nurses, die einen Bachelorabschluss haben. Innerhalb der Europäischen Union ist der Arbeitsmarkt für Pflegekräfte ein durchlässiges System. Pflegekräfte mit „alter“ Ausbildung stehen unter Bestandsschutz. Es gibt viel Wissen, viel Technologie und eine große Standardisierung in der Pflege. Als positive Aspekte sind die große Vereinheitlichung und dadurch gute Vergleichbarkeit zu nennen, die eine Umsetzung des Qualitätsmanagements begünstigt. Auf institutioneller Ebene gibt es „Megazentren“ mit akutstationärer- und langzeitpflege sowie Ärzten. Ein Pool von Personal kann darin bedarfsorientiert eingesetzt werden, so ist die Versorgung auf gesellschaftlicher Ebene sichergestellt. Was dabei jedoch verloren geht, ist die Entscheidungsfreiheit, da alle Abläufe prozessualisiert und standardisiert sind. Die pflegerische Versorgung gerät weiter in einen Strudel aus: akademisch, technologisch und gut gesteuert.
Diese Entwicklung mündet 2050 darin, dass sich im Rahmen einer institutionellen Versorgung durch Pflegeexpert/innen und Super-Nurses um alle gekümmert wird. Bei dieser rückt jedoch der Einzelfall in den Hintergrund, während Standardisierung und Regelwissen das pflegerische Handeln leiten. Gute Absichten und gute Inhalte sind auf dem Weg verloren gegangen, denn die Versorgung trägt der Individualität jedes einzelnen Menschen keine Rechnung - sie reihen sich nicht in den Prozess ein.
Frage Nr. 2:
Details Sani Shop
Der Durchnittswert auf der Skala von 1-7 ist: 2.5
2 Stimme(n)
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